Carl Friedrich Schröer
Zu einem Werk von Bettina Meyer im Stadtraum
„Ursula“, eine nur 68 Zentimeter hohe figürliche Bronze von Bettina Meyer erscheint unscheinbar. Und das nicht nur auf den ersten Blick. Was gesagt werden kann, welche hoffentlich klugen Worte auch bemüht werden, die stille, singuläre Art ihres Erscheinens in der Öffentlichkeit einer Neubauecke gerät in Gefahr, zugedeckt und verkannt zu werden, schneller als es dem Lobenden lieb sein kann. Alles Wissende aber zerstört vielleicht die Anmut.
Denn es will fast so scheinen, als habe Bettina Meyer in schönem Selbstbewußtsein eine Figur der Heiligen Ursula in den Öffentlichen Raum gestellt, ohne sich an die Regeln und Usancen des zeitgenössischen Kunstgeschehens zu halten. Und auch bei den Angeboten und reichen Traditionen christlicher Kunst hat sie sich keineswegs bedient. So ist eine Außenskulptur entstanden, die sich weder durch eine kühne Neuinterpretation exponiert, noch ihre Betrachter durch freie Formgestaltung, ungewöhnliche Materialwahl, Einsatz von Technik oder sonstige Effekte in Bann zieht. Die Innovation, nicht aber das Unscheinbare ist das Überkriterium der Moderne. Im Verzicht auf neuerliche Neuerungen öffnete sich erst ein Zugang, der das Wagnis mit der Unscheinbarkeit zu einem selten gelungenem Akt auf dem Feld „Kunst am Bau“ werden ließ. Zurückgeworfen auf die alte Frage nach dem Zusammenspiel von Ort und Figur, konnte ein gesteigertes Unscheinbares entstehen. Erst aus der genauen Beobachtung des präzisen Ortes – der neuen „Kölner Ecke“, wie der des historisches Stadtquartiers St. Ursula – gewann die Künstlerin eine Einschätzung, in welcher Form ihre künstlerische Arbeit, dem Ort und seiner Neubauarchitektur gleichzeitig dienen und diese nutzen könne. Aufwertung des Objekts und Verstärkung der künstlerischen Aussage – darin liegt das Spannungsverhältnis, das es zu stimmen und beherrschen gilt, ähnlich wie ein Saiteninstrument. In der Bescheidung hat Bettina Meyer eine Befreiung gesucht und zu einer Lösung gefunden, die vor dem angedeuteten Hintergrund, gewagt erscheint. Eine Heilige allein und in Demut, eine Nackte verletzlich in Schönheit und Würde.
Ihre „Ursula“ läßt sich auch als das Zeugnis einer Befreiung von einer schier erdrückenden Fülle an Vorbildern, Traditionen und Konkurrenzen und gleichzeitig ein Verzicht auf die große Geste der Befreiung erkennen. Wer sich in Köln, zumal im Ursulaviertel, zumal als weiblicher Künstler an die Arbeit macht, eine „Ursula“ zu schaffen, wird das reiche Themenreservoir, das die Legende der Heiligen Ursula und ihres Märtyrertodes mitsamt den 1111 Leidensgenossinnen bietet, entdecken. Nicht minder die gewichtige Tradition der Heiligenbildnisse, zumal der Kölner Stadtpatronin. Bettina Meyer hat diese Angebote nicht verworfen und ist ihnen doch nicht gefolgt. Sie hat das traditionelle Bildhauermedium Bronze gewählt und hat doch eine singuläre Heiligenfigur geschaffen, die den Vorbildern an Heiligenfiguren keineswegs entspricht.
Ihre Ursula steht da aufrecht und nackt, auf stämmigen Beinen, den Oberkörper leicht vornüber gebeugt, erhobenen Hauptes. Den schlanken Kopf hält sie ein wenig nach rechts gewendet, als blicke sie unter ihrem Häusereckbaldachin hervor in den freien Himmel über der nahen Basilika. Das üppige Haar trägt sie offen, es fällt ihr auf die linke Schulter, den Oberarm herab bis zu den prächtigen Brüsten. Mit dem linken Arm, die Scham halb bedeckend, reicht sie an den Oberschenkel des rechten Spielbeins. Die linke Hand greift an dieselbe Stelle, als wolle die Dame ihr Strumphband zurechtziehen. Was die schlichte Geste ausdrückt, bleibt offen. Doch unterstreicht sie die weibliche Anmut der Figur. Mehr nicht . Keine symbolische Handbewegung, kein Attribut, kein Erkennungszeichen gibt zu erkennen, hier handele es sich um das Bildnis einer Heiligen und Märtyrerin.
Der zur Verfügung gestellte Platz, eine sogenannte „Kölner Ecke“ eines neuerrichteten Wohnhauses auf dem Grundstück Ursulastraße 29 kommt ihr Zugute. Es ist ein bescheidener Platz. Wo es Kölner Ecken gibt, ist es eng und die Bebauung dicht. Damit der Straßenverkehr überhaupt um die Ecke kommt, hat man im Sockelgeschoß eine stumpfe Ecke eingeplant. Auf ihrem schlichten, steinernen Postament steht die Ursula über den Köpfen der Passanten vor der stumpfen Hausecke, von dem vorspringendem 1. Obergeschoß wohl bedacht. Das Haus lehnt sich mit seiner schlichten weißverputzten Lochfassade an die Architektur der fünfziger Jahre an, wie sie an vielen Stellen Kölns in der Nachkriegszeit entstanden ist. Eine figürliche Plastik, noch dazu an die Stadtheilige Ursula gemahnend, wird man an einem Neubau aus dem Jahr 2004 kaum mehr vermuten. Die Nackte vor der nüchternen Hausfassade wirkt umso überraschender. Sie steht da zur Schau gestellt, doch nicht unbedacht.
Das Unvermutete steigert das Unscheinbare der Figur. Als fokussiere sich die rationale Architektur in dieser figurengeschmückten Straßenecke und weist weit über sie hinaus.